In Fortsetzung unseres Beitrages zum Arbeitsrecht möchten wir Ihnen nachfolgend einen Überblick zu weiteren betroffenen Rechtsgebieten geben:
I. Einordnung der „Corona-Pandemie“ als „höhere Gewalt“
Eine international einheitliche Definition des Begriffs der höheren Gewalt gibt es nicht. Nach der deutschen Rechtsprechung ist höhere Gewalt ein betriebsfremdes, von außen kommendes Ereignis, das unvorhersehbar und ungewöhnlich ist und mit wirtschaftlich erträglichen Mitteln auch durch die äußerste, nach Lage der Dinge vom Betroffenen vernünftigerweise zu erwartende Sorgfalt nicht verhütet oder unschädlich gemacht werden kann. Es bedarf daher keiner näheren Erörterungen, dass diese Voraussetzungen bei einem Krieg, einer Epidemie oder einer Naturkatastrophe, wie einem Wirbelsturm oder einem Erdbeben vorliegen (BGHZ 100, 185 (188)). Auch hat das Amtsgericht Augsburg in einer Entscheidung vom 09.11.2004 im Hinblick auf den Ausbruch des SARS-Virus höhere Gewalt angenommen.
Nachdem die Corona-Pandemie sowohl für Deutschland, aber letztlich auch für die ganze Welt eine nicht dagewesene Situation darstellt, gibt es in der deutschen Rechtsprechung keine vergleichbaren Fälle, an denen man sich orientieren kann. Im Einzelfall gelten vorranging immer die vertraglichen Vereinbarungen zwischen den Parteien, sofern diese Regelungen zu unvorhersehbaren Ereignissen, Fällen höherer Gewalt und ähnliches getroffen haben, hilfsweise die gesetzlichen Regelungen.
Unter den Voraussetzungen, dass keine vertraglichen Vereinbarungen getroffen wurden, was in jedem Einzelfall zu prüfen ist, gilt grundsätzlich das Nachfolgende:
II. Werkvertragsrecht und Bauwirtschaft
Die Anordnungen der Bundesregierung und der Bundesländer in den verschiedenen Allgemeinverordnungen, die Ein- und Ausreisebeschränkungen innerhalb der EU, haben Einfluss auf die Bauwirtschaft. So stehen Lieferengpässe bei Materialien, der Ausfall von fest vereinbarten Terminen, weil Handwerker diese aufgrund von Krankheit oder staatlichen Verboten kurzfristig absagen müssen, oder Bautrupps aus den EU-Nachbarländern aufgrund von Einreiseverboten nicht anreisen dürfen, im Raum.
Oftmals werden aber auch die Auftraggeber ihrerseits von der Durchführung nicht zwingend notwendiger Arbeiten selbst den Termin absagen wollen.
- Informationspflichten
Aufgrund des Kooperationsgebots am Bau, das vom Bundesgerichtshof mehrfach festgestellt worden ist, aber auch als wechselseitiges Gebot der Fairness, sollten sich Auftragnehmer und Auftraggeber möglichst frühzeitig darüber abstimmen, ob persönliche Termine derzeit wahrgenommen werden/werden sollen und gegebenenfalls unmittelbar über einen bereits für einen Vertragsteil feststehenden Terminausfall informieren.
- Lieferengpässe
Wenn keine im Vertrag abweichende Regelungen getroffen wurden, fällt das Beschaffungsrisiko, also das Risiko Waren auf dem Weltmarkt zur Durchführung des Auftrags beschaffen zu können, in die Risikosphäre des Auftragnehmers. Kann der Auftragnehmer nicht oder nicht rechtzeitig das Material besorgen und kommt er damit mit der Fertigstellung der Werkleistung in Verzug, drohen ihm Schadensersatzansprüche. Ein Verzug setzt jedoch voraus, dass die Verzögerung auf einem Verschulden des Auftragnehmers beruht. Es wird im Einzelfall zu prüfen und abzuwägen sein, ob durch die Corona-Pandemie eine Situation geschaffen wurde, die möglicherweise von dem Auftragnehmer nicht zu vertreten ist. Hier wird im Einzelfall abzuwägen sein, ob der Auftragnehmer die zur Beschaffung notwendigen angemessenen und zumutbaren Anstrengungen unternommen hat, oder ob er beispielsweise aus Nachlässigkeit über Wochen hinweg Material, das er zur Durchführung der Baustelle benötigt, noch nicht bestellt hatte.
- Verlängerung von Ausführungsfristen
Die Einhaltung der Vertragsfristen obliegt grundsätzlich der verpflichteten Partei, also regelmäßig dem Auftragnehmer. Eine Ausnahme gilt nach § 6 Abs. 2 Nr. 1 c) VOB/B, soweit die Behinderung durch höhere Gewalt verursacht wurde. Die Corona-Pandemie wird insoweit als höhere Gewalt eingestuft (siehe oben). Aber auch hier gilt, dass eine Verzögerung der Bauausführung, die der Auftragnehmer nicht zu vertreten hat, erfordert, dass der Auftragnehmer im Vorfeld alles Zumutbare und Erforderliche, zum Beispiel im Rahmen der Beschaffung unternommen haben muss, damit die Behinderung/Unterbrechung der Bauausführung tatsächlich auf der höheren Gewalt beruht.
Spannend wird die Frage sein, ob und inwieweit die Regelung des § 6 Abs. 2 Nr. 1 c) VOB/B auch auf das Werkvertragsrecht des Bürgerlichen Gesetzbuchs nach den Grundsätzen von Treu und Glauben, der ergänzenden Vertragsauslegung oder über die Grundsätze der Störung der Geschäftsgrundlage herangezogen und von den Gerichten bestätigt werden.
- Kündigungsmöglichkeiten
Unabhängig von der aktuellen Situation gibt es in den Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) und in der VOB/B für beide Vertragsparteien außerordentliche Kündigungsgründe. Der Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung muss im Vorfeld sorgfältig abgewogen werden, da dieser die ultima ratio darstellt. Vor dem Ausspruch einer Kündigung sollte man daher auch die jeweiligen Konsequenzen und Rechtsfolgen einer unwirksamen außerordentlichen Kündigung in den Blick nehmen. Erweist sich nämlich die außerordentliche Kündigung als unwirksam, kann diese als freie Kündigung gewertet werden, mit der Folge, dass der Auftragnehmer beispielsweise nach § 648 BGB die vereinbarte Vergütung abzgl. seiner ersparten Aufwendungen verlangen kann.
III. Handels- und Wirtschaftsrecht
Die Auswirkungen der Corona-Krise auf Handel- und Warenverkehr sind bereits jetzt unübersehbar. Auch hier gilt, dass im Einzelfall jeder Vertrag danach überprüft werden muss, welche Vertragspartei welche Vertragspflichten übernommen hat.
Sind die Lieferverträge als absolutes Fixgeschäft vereinbart worden?
Wer trägt das Transportrisiko, zum Beispiel bezüglich der Rechtzeitigkeit der Lieferung?
Bei internationalen Lieferverträgen über Waren und die Erbringung von Leistungen werden oftmals sogenannte Force-Majeure-Klauseln aufgenommen. Diese Vertragsklauseln sind meist allgemein formuliert, dienen aber dazu, die Vertragsparteien im Falle von höherer Gewalt von ihren Leistungspflichten teilweise oder ganz freizustellen. Diese Freistellung ist dabei meist auf die Dauer des Ereignisses begrenzt. Aber auch hier gilt, nicht jeder Lieferverzug kann pauschal mit „Corona“ und damit mit höherer Gewalt gerechtfertigt werden. Letztlich wird immer eine Prüfung der konkreten Umstände des Einzelfalls notwendig und erforderlich sein, um eine rechtliche Beurteilung vornehmen zu können.
Soweit bei grenzüberschreitenden Verträgen das UN-Kaufrecht (CISG) eingreift, entfällt nach Artikel 79 CISG für den Lieferanten eines internationalen Kaufvertrags die Haftung für einen aus höherer Gewalt resultierendes Leistungshindernis. Ist die Erfüllung dauerhaft objektiv unmöglich, entfällt der Erfüllungsanspruch endgültig. Bei grenzüberschreitenden Verträgen ist daher ergänzend zu dem Vertragsinhalt zu prüfen, welche Rechtsordnung Anwendung findet und welche Rechtsfolgen diese Rechtsordnung für den Fall der höheren Gewalt vorsieht. Eine Pauschalierung verbietet sich von Beginn an.
IV. Mietrecht
Auch die gesetzlichen Regelungen zum Mietrecht im BGB beinhalten keine allgemeine Regelung, wenn eine Vertragspartei aufgrund höherer Gewalt ihre Leistungspflichten nicht erfüllen kann. Auch hier kommt es auf die jeweilige Risikozuweisung bei der einzelnen Leistungspflicht an.
Grundsätzlich ist ein Vermieter bei Säumnis des Mieters mit zwei Monatsmieten, oder mehr, berechtigt, das Mietverhältnis außerordentlich fristlos zu kündigen. Die Zahlungspflicht des Mieters wird grundsätzlich von „höherer Gewalt“ nicht aufgehoben. D. h. auch eine Mietminderung wegen „COVID-19“ ist grundsätzlich nicht gerechtfertigt.
Zur Abfederung der sozialen Folgen der Corona-Krise aufgrund des Verlusts von Arbeitsplätzen, Zahlungsschwierigkeiten durch den Bezug von Kurzarbeitergeld und ähnliches, plant die Bundesregierung hier eine gesetzliche Regelung vorzusehen, wonach eine Kündigung zunächst befristet für den Zeitraum ab dem 01.04.2020 bis zum 30.06.2020 ausgeschlossen wird, wenn der Zahlungsrückstand erst nach dem 01.04.2020 aufgelaufen ist. Auch hier gilt es also Vorsicht walten zu lassen und im Einzelfall zu prüfen, worauf mögliche Zahlungsrückstände beruhen. Auch hier gilt: Jeder Einzelfall ist gesondert zu prüfen.
Bevor die Zahlungen einfach eingestellt werden, sollte ein offenes Gespräch mit dem Vermieter über die Gründe geführt und so versucht werden, eine für beide Seiten faire und akzeptable Lösung/Zwischenlösung zu finden.
Dr. Jochen Beckert
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht
Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht